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Johann Simon Genten, Aachen
15. Januar 2014

Zwangsverrentung (Altersrente) nicht immer rechtmäßig !

Am heutigen Tage erschien in den „Aachener Nachrichten“ ein Artikel, der leider nicht ganz die richtige Rechtslage wiedergibt. Unter dem Stichwort „Zwangsverrentung“ wird dargestellt, dass nach dem Sozialgesetzbuch Versicherungsleistungen grundsätzlich Vorrang vor staatlichen Hilfen aus Steuermitteln hätten. Habe ein Langzeitarbeitsloser im Alter von 63 zum Beispiel mindestens 35 Versicherungsjahre erreicht, sei er grundsätzlich zum Renteneintritt verpflichtet. Falls er sich weigere, übernehme das Jobcenter den Rentenantrag, so heißt es. Dies ist aber so nicht richtig.
So hat z.B. das Landessozialgericht NRW in einem Urteil festgehalten, dass auch nach Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente ausnahmsweise dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden müsse, wenn dies eine Unbilligkeit i. S. der ab dem 1. 1. 2008 geltenden Unbilligkeitsverordnung darstelle (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2013 – L 19 AS 291/13 B ER –, juris) oder andere Gründe für eine Unbilligkeit sprechen würden.
Laut Unbilligkeitsverordnung sind Hilfebedürftige nach Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, wenn die Inanspruchnahme unbillig wäre. Als unbillig werden folgende Fälle angesehen:
  • Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld
  • Bevorstehende abschlagsfreie Altersrente
  • Vorhandene Erwerbstätigkeit (Erwerbstätigkeit nimmt den überwiegenden Teil der Arbeitskraft in Anspruch).
  • Bevorstehende Erwerbstätigkeit (in nächster Zukunkt wird Erwerbstätigkeit aufgenommen)
Denkbar sind ggf. aber auch andere Konstellationen der Unbilligkeit!
Denkbar sind auch Verwaltungsfehler! Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen: L 28 AS 2330/13 B ER) z.B. hat in einer für den Hilfeempfänger positiven Entscheidung unterstrichen, dass es sich sowohl bei Aufforderung zum Rentenantrag als auch bei der eigenständigen Stellung eines Rentenantrages für den Hilfeempfänger um eine Ermessenentscheidung handele. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Ist dies nicht der Fall, so kann ein derartiger Verwaltungsakt ggf. kassiert werden!
Fazit: Presseartikel zu Rechtsproblemen sind grundsätzlich kritisch zu betrachten. In der Regel wird die Rechtslage  verkürzt, verfälschend oder schlicht falsch dargestellt !