professionell...unabhängig...engagiert
Johann Simon Genten, Aachen
2. Mai 2011

Renten (und Rentenanwartschaften) werden zum 01.07.2011 um 0,99 Prozent erhöht

Auch dieses Jahr finden wir landauf landab die Meldung, die „Renten“ würden zum 1.7.2011 erhöht und zwar um 0,99%. Eine sehr verkürzte Nachricht! Denn erhöht wurde nur der so genannte „aktuelle Rentenwert“. Das ist im Grunde der Wert den ein Durchschnittsverdiener in einem Jahr an Rente erwirtschaftet. Er beträgt ab 1. Juli 2011 nach 27,20 Euro (West) dann 27,47 Euro (West).
Es ist richtig, dass dieser Wert nunmehr auf die gesetzlichen Renten in Form einer Erhöhung durchschlägt. Denn jede Rente wird im wesentlichen aus den im Laufe eines Versichertenlebens erworbenen Entgeltpunkten und eben dem aktuellen Rentenwert ermittelt. Im Grunde werden die EP hiermit multipliziert, wobei aber noch andere Faktoren eine Rolle spielen, die hier vernachlässigt werden sollen.
Nun sind Sie aber noch gar nicht Rentner ? Also betrifft Sie die Erhöhung gar nicht ? Sie sind im Gegenteil, so wie der Presse zu entnehmen, der gebeutelte Beitragszahler, der in Mallorca überwinternde Rentenscharen durchfüttern muss ?

Nein, so einfach ist es eben nicht. Denn nehmen wir an, Sie sind 50 Jahre alt und haben seit Beginn einer Lehre treu und brav malocht und damit bereits, - sagen wir - 35 Entgeltpunkte erarbeitet. Dann bedeutet das für Sie schlicht und einfach, dass Ihre Anwartschaft durch die vielen Nullrunden der letzten Jahre ebenfalls nicht gestiegen ist und jetzt eben auch um nur 0,99% steigt.
Ihre Anwartschaft beträgt nun also 35*27,47 EUR=961,45 EUR.
Quintessenz: Immer, wenn Sie der Presse entnehmen, die Renten würden um so und soviel Prozent steigen oder nicht steigen oder evtl. sogar fallen, sind auch sie betroffen und eben nicht nur die (bösen) Rentner!
Die bedenkliche Entwicklung, dass die Renten und Rentenanwartschaften nicht mehr in vollem Maße an der allgemeinen, ja ohnehin dürftigen Lohnentwicklung teilnehmen, belastet alle, Rentner wie Beitragszahler !
Grundlage für die Dynamisierungen ist die allgemeine Lohnentwicklung. Lange Jahre war die Brutto-Lohnentwicklung maßgeblich, dann die Netto-Lohnentwicklung. Ginge es nach dieser lange Jahre geltenden Formel, so käme es nun zu einer wesentlich deutlicheren Rentenerhöhung! Die Löhne haben sich in den alten Bundesländern um ca. 3,10 Prozent erhöht. Der Gesetzgeber hat aber seit 1992 immer neue Faktoren in die ursprüngliche Rentenanpassungsformel eingebaut, die eine derartige Steigerung verhindern. Es gibt nunmehr bereits drei dieser „Dämpfungsfaktoren“ (§ 68a SGB VI; § 255a-g SGB VI).
Der erste ist der Riesterfaktor, der sich in diesem Jahr mit 0,64 Prozentpunkten auswirkt. Mit diesem Faktor wird die "Belastung" der Erwerbstätigen durch verstärkte private Altersvorsorge (Riester-Rente) und die "Belastung" der Erwerbstätigen durch die Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung simuliert.
Hierdurch werden Rentenerhöhungen gemindert und unterstellt, dass diese so entstehende Versorgungslücke gegenüber dem bisherigen Leistungsziel durch private Altersvorsorge ausgeglichen wird.
Der zweite Faktor ist der „Nachhaltigkeitsfaktor“, der im Jahr 2011 mit 0,46 Prozentpunkten auswirkt. Er berücksichtigt die Arbeitsmarktsituation sowie demographische Entwicklung. Kern dieses Faktors ist die Entwicklung des Rentnerquotienten. Dieser setzt die Zahl der ÄquivalenzrentnerInnen mit den ÄquivalenzbeitragszahlernInnen ins Verhältnis. Vereinfacht gesagt: Je mehr Rentner und je weniger Beitragszahler, um so höher ist dieser eine Erhöhung mindernder Faktor.
Als dritten Dämpfungsfaktor ist der Nachholfaktor zu nennen. Dieser Faktor, auch "Schutzklausel" genannt, ist neu geschaffen worden.  U.a. im Jahre 2010  wäre es zu einer Negativanpassung gekommen. Die Renten und Rentenanwartschaften wären gekürzt worden. Die unterlassenen Negativanpassungen werden wegen dieses Faktors in diesem und in den folgenden Jahren nachgeholt. Durch die Rentengarantieklausel entstand bisher in den alten Bundesländern ein Ausgleichsbedarf von 3,81 Prozentpunkten.
Bisher hat das Bundesverfassungsgericht viele Maßnahmen des Gesetzgebers in Bezug auf die Rentenanpassung abgesegnet. Ob dies immer so bleiben wird, ist angesichts der vielfältigen Eingriffe fraglich. Man spricht hier von einem „additiven Grundrechtseingriff“. Aktuell sind unter AZ 1 BVR 79/09 und 1 BVR 1298/09 Verfahren beim höchsten Gericht anhängig, die u.a. die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Riester-Faktors und des Nachhaltigkeitsfaktors beantworten werden.