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Johann Simon Genten, Aachen
18. April 2013

Hörgerät: SG Oldenburg legt Vorgehensweise des Leistungsträgers fest und verurteilt zur Bewilligung eines hochwertigen Hörgerätes

Bei Hörgeräten gibt es regelmäßig Streit um die Frage, in welchem Maße die Krankenkasse die Kosten für das Hörgerät erstatten muss. Zumeist werden nur geringwertigere Hörgeräte bzw. ein entsprechender Kostenanteil im Rahmen einer Grundversorgung erstattet.
Das SG hat im vorliegenden Fall festgestellt, dass Versicherte Anspruch auf die Hörgeräteversorgung haben, die die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt, da der unmittelbare Behinderungsausgleich betroffen ist. Es gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (BSG, Urt. vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R).

Wie in allen anderen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V; s. stellvertretend BSG, Urteil vom 16. September 2004 - B 3 KR 19/03 R).
Weiter heißt es im Urteil u.a.:
„Ein Anspruch auf die begehrte Versorgung besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Alternative 3 SGB V, denn die begehrten Hilfsmittel Oticon agil PRO BTE 13 sind erforderlich, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, selbstständiges Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (s. z.B. BSG a.a.O. unter Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 3, dort m.w.N.).(...)
Das begehrte Gerät ermöglicht nach den Messergebnissen ein gegenüber den anderen Geräten deutlich höheres Sprachverständnis von 80 % im Einsilbenverstehen und 40 % im Störgeräusch. Das nächst beste Gerät Oticon acto Pro BTE 13 erreicht im Einsilbenverstehen mit 75 % mäßig abweichende Werte, im Störgeräusch jedoch deutlich abweichende Werte von nur 20 %. Das Hören mit Umgebungsgeräuschen gehört zu den Grundbedürfnissen, da es in normalen Alltagssituationen erforderlich ist, etwa im Straßenverkehr, in einer Unterhaltung in der Gruppe mehrerer Menschen oder beim Einkaufen mit Hintergrundmusik und Hintergrundgesprächen anderer Menschen. Das Hören im Störgeräusch ist daher im Rahmen der Hilfsmittelversorgung durch die Krankenversicherung zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urt. v. 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R, zitiert nach Juris)“.
Im vorliegenden Fall habe es die Krankenkasse versäumt, zuzahlungsfreie Alternativen aufzuzeigen. Zwar bestehe im Rahmen der Erfüllung von Sachleistungsansprüchen grundsätzlich ein Auswahlermessen der Beklagten zwischen mehreren gleichgeeigneten Leistungen, so das SG, dieses wurde jedoch nicht ausgeübt und hat sich daher auf Null reduziert. Denn der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten ausreichend nachgekommen. Er habe insgesamt zehn Geräte ausgetestet. Da keine konkrete zuzahlungsfreie Versorgungsalternative aufgezeigt worden sei, müssten die vollen Kosten für die Hilfsmittelversorgung übernommen werden, die aufgrund der erfolgten Erprobung die besten Hörergebnisse erzielt habe.
Auch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V stehe der Leistungspflicht  nicht entgegen. Denn auch eine kostenaufwendige Versorgung sei von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt sei, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber kostengünstigeren Geräten biete (vgl. BSG, Urt. v. 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R, Rn. 21, zitiert nach Juris).