professionell...unabhängig...engagiert
Johann Simon Genten, Aachen

Ausgabe Dezember 2009

Liebe Mandanten, Freunde und Partner,
sehr geehrte Damen und Herren,

ziemlich genau vor 15 Jahren wurde mir die Zulassung erteilt, als Rentenberater tätig werden zu dürfen!
Viel ist bewegt worden in dieser Zeit. Unzählige Widerspruchsverfahren wurden geführt, ganz überwiegend mit Erfolg. Gleiches gilt für mehrere hundert Klageverfahren und daneben noch etliche Beratungen, Anträge etc..
Eine spannende und immer wieder interessante Arbeit!

Es tut gut, wenn engagierte Arbeit gewürdigt und anerkannt wird.
So bin ich mittlerweile für den „Bundesverband der Rentenberater“ als Regionalbeauftragter für das Land NRW tätig und u.a. für die Fortbildung der Rentenberater zuständig.

Und am 18.11.09 durfte ich im Rahmen eines Symposiums des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen den Gutachtern sozusagen die Leviten lesen. Wen es interessiert, den PowerPoint-Vortrag finden Sie als PDF auf meiner Homepage.

Und schließlich noch dies: die Rentenberatungskanzlei Genten ist der erste Arbeitgeber (außer den klassischen Sozialversicherungsträgern) in Deutschland, der einen Sozialversicherungsfachangestellten ausbilden darf. Die Erlaubnis wurde am 04.09.09 erteilt.

Dank meinen Mitarbeitern Gabriele Wussow und neuerdings dem „Lehrling“ Peter Braun sowie den vielen anderen, die meinen Weg fördernd und kritisch begleitet haben!

Ihnen wünsche ich erholsame Weihnachtage und ein gutes neues Jahr 2010!

Mit herzlichem Gruß

Johann Simon Genten
Rentenberater/Rechtsbeistand


Inhaltsverzeichnis

Der Amtsschimmel wiehert!

Im alltäglichen Formularkrieg nun noch gleich zwei neue Ärgernisse. Verständnis habe ich noch, dass nunmehr neben der Sozialversicherungsnummer eine zweite Nummer abgefragt wird: Die persönliche Identifikationsnummer, vom Finanzamt zusätzlich zur schon vorhandenen Steuernummer zugeteilt.

Kein Verständnis habe ich, dass bei Inländern, -und das dürften 95% der Rentenantragsteller sein-, nicht mehr die Kontonummer und die Bankleitzahl, die jeder im Kopf oder zumindest auf Karte hat, abgefragt wird, sondern die eigentlich nur für den europäischen Zahlungsverkehr notwendigen IBAN und BIC. Die Deutschen Rentenversicherung in Berlin (DRV) weist darauf hin, dass die Angabe dieser Zahlen unabdingbar sei und zukünftig im Rahmen eines europaweiten Projektes SEPA (Single Euro Payment Area) damit zu rechnen ist, dass generell das Format Kontonummer/BLZ durch IBAN und BIC ersetzt werden.
Auweia! Die IBAN ist 22-stellig und die BIC 11-stellig!!! Merken können die sich nur noch Erinnerungskünstler. Die Fehlerwahrscheinlichkeit bei der Übertragung dürfte rapide steigen. Abgesehen vom zusätzlichen Zeitaufwand beim Ausfüllen einer Überweisung! Hat das mal jemand volkswirtschaftlich berechnet?
Es gäbe so viel zu ändern und zu verbessern und nun so ein hochgradiger Schwachsinn!


Rechtsvertretung durch VDK: "Schnell und günstig"

Der Sozialverband Vdk wirbt „Wir helfen schnell & günstig“ (http://www.sozialrechts-beistand.de/), als ginge es um die Bestellung einer Pizza!
In meiner Praxis immer wieder bemerkenswert, wenn Menschen um einen Rat fragen, die aktuell in einem Verfahren durch den VDK vertreten werden. Was ich immer feststellen muss ist, dass diese in der Regel noch nicht einmal über den Verfahrensstand informiert sind. Das hängt damit zusammen, dass keineswegs alle Schriftsätze, wie bei guter Rechtsvertretung selbstverständlich, in Kopie an den Mandanten gehen. Auch erschöpft sich die Arbeit des VDK offensichtlich in einer sehr knappen Klagebegründung. Auf Vorgutachten wird in der Regel überhaupt nicht eingegangen. Sind vom Gericht Gutachten eingeholt worden, so bekommen die Klienten einen Textbaustein, mit der Aufforderung, das Gutachten mit ihrem Arzt zu besprechen.
Tja, welcher Arzt hat schon Zeit, sich ein 40-seitiges Gutachten anzuschauen, zu analysieren, auf Fehlerquellen hin zu durchsuchen?
Aus meiner Sicht ist dies Aufgabe des Bevollmächtigten, der sich auch mal reinknien muss!
Wie heißt es in Aachen : „Wat nix kost, dat is nix“ Aber, man ist ja Mitglied für wenig Geld und der Extra-Beitrag für das gesamte Klageverfahren beträgt aktuell 28,12 Euro.
Was kann man dafür erwarten? Genau diese Antwort bekam jemand, der bisher vom Vdk vertreten wurde und seine Unzufriedenheit äußerte.
„Was erwarten Sie für 28,12 Euro?“



Honorierung von Gutachtern

Apropos Geld: Wussten Sie, dass ein medizinischer Gutachter im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren - etwa zur Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente seitens der DRV - mit lediglich 75,- Eur honoriert wird. Hier kommen dann zwar noch Schreibgebühren und Gebühren für eventuelle Zusatzuntersuchungen hinzu, aber zu fragen ist doch, was ein Gutachter dafür leisten kann bzw. zu leisten bereit ist?
Zum Vergleich: Im sozialgerichtlichen Verfahren erhalten Gutachter in der Regel 1000-1500 Eur.


Projektbezogene Tätigkeit stellt keine dauerhafte Berufsausübung im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung dar, die zur Pflichtmitgliedschaft führt

Eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung wird nicht bei allen Selbstständigen mit nur einem Auftraggeber begründet. Die Vorschriften des Sozialgesetzbuches umfassen vielmehr nur solche Selbstständig Tätigen, die auch "auf Dauer" nur für einen Auftraggeber beschäftigt werden. Von der erforderlichen Dauerhaftigkeit der Tätigkeit für nur einen Auftraggeber ist dann auszugehen, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolgt. Bei einer im Voraus begrenzten lediglich vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber ist grundsätzlich keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit anzunehmen; dies gilt namentlich bei projektbezogenen Tätigkeiten.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.09.2009, L 2 R 235/09


Bundesrat hat jahrelang "grob fahrlässig" im Besucherdienst "scheinselbständige" Mitarbeiter beschäftigt

Die Mitarbeiter des Besucherdienstes sind eng in die betriebliche Organisation des Bundesrates eingegliedert. Ihnen ist sowohl der zeitliche als auch der inhaltliche Rahmen für die Führungen durch den Bundesrat verbindlich vorgegeben. Auch die Bezahlung ist nicht frei ausgehandelt worden, sondern vom Bundesrat einseitig vorgegeben. Die Besucherführer sind nach außen hin eindeutig als Mitarbeiter des Bundesrates in Erscheinung getreten, zum Beispiel durch das Tragen von Namensschildern mit dem Zusatz „Bundesrat". Der Bundesrat ist daher verpflichtet, auch rückwirkend die Beiträge zur Sozialversicherung von insgesamt 15.000 Euro zu bezahlen.

SG Berlin vom 02.06.2009, S 36 KR 2382/07


Eskalation eines Streits unter Betrunkenen kann Anspruch auf Bestattungsgeld nach dem Opferentschädigungsgesetz begründen

Stellt sich jemand bewusst außerhalb der Gemeinschaft und realisiert sich die damit verbundene Gefahr in Schädigungen, können zum Ausgleich der Schädigungsfolgen keine staatlichen Leistungen verlangt werden. Daher schließt die sozialwidrige mit speziellen Gefahren verbundene Zugehörigkeit zum Kreis der Alkoholkonsumenten, wenn die Tat aus diesem Milieu entstanden ist, einen Entschädigungsanspruch aus. Die Eskalation einer Rangelei unter Betrunkenen ist jedoch nicht ohne Weiteres milieutypisch, sondern immer zu befürchten, wenn Alkohol reichlich genossen wird. Ohne weitere Anhaltspunkte für ein milieutypisches Verhalten besteht daher ein Anspruch auf Opferentschädigung.

SG Dortmund, Urteil vom 02.04.2009, S 18 VG 434/07


Kein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze bei Rente wegen Berufsunfähigkeit wegen bloßer Atypik der Zahlungsmodalität

Es liegt kein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit vor, wenn ein Rentner in Altersteilzeit Anspruch auf tarifliche Sonderzahlungen hat, die üblicherweise im Mai und im Oktober eines Jahres ausgezahlt werden, bei ihm jedoch atypischer Weise monatlich. Dies gilt solange die ausgezahlten Sonderzuwendungen nicht der Höhe nach die erlaubten, rentenunschädlichen Hinzuverdienstgrenzen übersteigen. Liegt die atypische Zahlung in Besonderheiten der Firma, so hat die Behörde vor Erlass eines Rückforderungsbescheids zumindest ein Ermessen auszuüben.

SG Bremen, Urteil vom 08.12.2008, S 11 RJ 136/03



Enkel hat bei Haushaltsaufnahme durch verstorbene Großeltern Anspruch auf Halbwaisenrente

Enkel haben wie Kinder dann einen Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie im Haushalt des Verstorbenen aufgenommen oder von ihm überwiegend unterhalten wurden und die noch jugendlichen Eltern keinen eigenen Haushalt führen, sondern selbst noch bei ihren jeweiligen Eltern wohnen. Eine Haushaltsaufnahme durch die Großeltern setzt aber nicht voraus, dass das Kind zu seinen leiblichen Eltern keine Bindung mehr hat. Entscheidend ist, dass der verstorbene Versicherte mehr als die Hälfte zum Lebensunterhalt seines Enkels beigetragen hat.

SG Dortmund, Urteil vom 22.04.2009, S 15 (2) R 155/06


Benachteiligung nichtehelicher gegenüber ehelichen Kindern, wenn Tod eines Elternteils keinen Anspruch auf Erziehungsrente auslöst

Die Regelung, dass die Erziehung gemeinsamer nichtehelicher Kinder der Erziehungsperson und des verstorbenen anderen Elternteils nicht zu einer Erziehungsrente führt, verstößt gegen den Verfassungsauftrag, der die Gleichstellung und Gleichbehandlung aller Kinder ungeachtet ihres Familienstandes zum Ziel hat. Das gemeinsame nichteheliche Kind wird in diesen Fällen nur deshalb schlechter gestellt, weil seine Eltern nicht miteinander verheiratet waren. Zwar werden vom Gesetz die verschiedenen in Betracht kommenden Fälle sehr differenziert geregelt, in den meisten Fällen aber werden gemeinsame Kinder aus geschiedenen Ehen privilegiert. Bevorzugungen wegen der Ehelichkeit und Benachteiligungen wegen der Nichtehelichkeit sind demnach kennzeichnend für die vom Gesetz vorgenommene Differenzierung. Dies ist verfassungswidrig und wird daher dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt.


Keine Verpflichtung zur Überprüfung von Leistungsbescheiden auf ihre Richtigkeit durch Leistungsempfänger, der alles wahrheitsgemäß mitgeteilt hat

Die Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Sozialleistungen ist eine auch im Bereich der Rentenberatung alltägliche Frage. Oft sind derartige Rückforderungen aber nicht zulässig. Eine Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Grundsicherungsleistungen ist z.B. ausgeschlossen, wenn der Leistungsempfänger allen seinen Mitteilungspflichten nachkommt und die fehlerhafte Leistungsgewährung allein auf den behördlichen Fehler zurückzuführen ist. Der Hilfebedürftige ist nicht verpflichtet, einen Leistungsbescheid auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Dies gilt insbesondere, wenn die Begründung des Bescheids aus wenig aussagekräftigen Satzbausteinen besteht und die angehängten Berechnungsbögen für einen Laien unverständlich sind. Es kann von sozialrechtlich ungebildeten Laien nicht erwartet werden, in den Berechnungsbögen von Arbeitslosengeld II-Bescheiden Unrichtigkeiten zu erkennen, die selbst den sozialrechtlich geschulten Sachbearbeitern des Leistungsträgers über ein Jahr hinweg nicht auffallen.

SG Braunschweig, Urteil vom 17.02.2009, S 18 AS 1463/08




Keine Rückforderung von Arbeitslosengeld bei Weiterbewilligung trotz Kenntnis über die anspruchsschädigende Erwerbstätigkeit des Leistungsbeziehers

Ein weiteres Beispiel einer rechtswidrig erhobenen Rückforderung: Die einjährige Handlungsfrist für die rückwirkende Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes beginnt nicht eher zu laufen, als der für die Entscheidung über die Aufhebung nach der Geschäftsverteilung des Leistungsträgers zuständigen Behörde die Tatsachen zur Bearbeitung vorliegen, aus denen sich die tatbeständlichen Voraussetzungen der Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes ergeben. Weitere Ermittlungen lösen dann keinen neuen Fristbeginn aus, wenn deren Einfluss auf die Entscheidung nicht erkennbar ist. Verfügt der Leistungsträger über ausreichende Kenntnisse über die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung und werden weiterhin Leistungen bewilligt, kann sich der Leistungsempfänger auf Vertrauensschutz berufen, der eine Rückforderung ausschließt.

Bayerisches LSG, Urteil vom 19.02.2009, L 9 AL 143/03


Keine Krankenkassenbeiträge auf Leistungen einer Kapitallebensversicherung, wenn es sich nicht um eine betriebliche Altersvorsorge handelt

Was die Krankenkassen oft betreiben, ist oft bemerkenswert und war schon verschiedlich Thema meines Newsletters. Auch bei der Beitragserhebung werden erhebliche Fehler gemacht. Die Heranziehung von Leistungen aus einer befreienden Kapitallebensversicherung zu Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung ist jedenfalls dann rechtswidrig, wenn es sich dabei nicht um eine betriebliche Altersversorgung handelt. Unerheblich ist, dass die befreiende Kapitallebensversicherung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung dienen soll und die Fälligkeit zwei Monate vor dem 65. Geburtstag des Versicherten eintritt. Dies allein reicht nicht aus, um den erforderlichen Zusammenhang zwischen der privat mit einem betriebsfremden Lebensversicherer abgeschlossenen Kapitallebensversicherung und dem Erwerbsleben des Versicherten zu bejahen.

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.05.2009, L 5 KR 66/08


Arbeitslosengeld ist nach einer Ausbildung ohne Ausbildungsvergütung entsprechend der erworbenen Qualifikation fiktiv zu bemessen

Die behinderte Klägerin absolvierte von 2001 bis 2005 im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme eine Ausbildung zur Orthopädiemechanikerin und Bandagistin in einem Berufsbildungswerk. Anstelle einer Ausbildungsvergütung erhielt sie von der Beklagten ein Ausbildungsgeld in Höhe von 93,00 € monatlich. Im Anschluss an die erfolgreich abgeschlossene Ausbildung bewilligte ihr die Beklagte Arbeitslosengeld in Höhe von 8,18 € täglich unter Zugrundelegung der tariflichen Ausbildungsvergütung vergleichbarer Auszubildender mit Ausbildungsvergütung (17,07 € täglich). Mit der Klage, gerichtet auf die Verurteilung der Beklagten, Arbeitslosengeld nach einem fiktiven Arbeitsentgelt entsprechend der erworbenen beruflichen Qualifikation (64,40 € täglich) zu leisten, hatte die Klägerin in den Tatsacheninstanzen Erfolg.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat die Revision der Beklagten im Verfahren B 11 AL 42/08 R am 3. Dezember 2009 nach mündlicher Verhandlung zurückgewiesen.
Bei der Bemessung des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Denn die Klägerin hat innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nur Ausbildungsgeld von der Beklagten bezogen, tatsächlich also kein Arbeitsentgelt erzielt. Für die von der Beklagten vorgenommene Bemessung unter Zugrundelegung der tariflichen Ausbildungsvergütung vergleichbarer Auszubildender gibt es keine Rechtsgrundlage. Unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers, aus Vereinfachungsgründen die fiktive Bemessung für alle Versicherungspflichtverhältnisse vorzusehen, denen kein Arbeitsentgelt zugeordnet werden kann, liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor.

Az.: B 11 AL 42/08 R W. ./. Bundesagentur für Arbeit


Keine Versagung der Erwerbsminderungsrente für Damenmaßschneider aufgrund möglicher Ausübung von Bürotätigkeiten

Immer wieder verweise die RV-Träger auf angeblich noch medizinisch und sozial zumutbare Tätigkeiten, die aber tatsächlich nicht zumutbar sind. Derartige Verfahren gehören zum Rentenberateralltag!
Bei der Entscheidung über das Bestehen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente ist ein Damenmaßschneider als Facharbeiter einzuordnen, wenn er über einen Facharbeiterabschluss verfügt und insgesamt fast 30 Jahre lang in seinem Beruf gearbeitet hat. Eine Verweisung auf Bürotätigkeiten entspricht nicht der Facharbeitern zumutbaren dritten Stufe im Sinne des von der Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschemas, soweit es sich hierbei um innerhalb von drei Monaten vollwertig erlernbare Tätigkeiten handelt. Soweit derartige Tätigkeiten die Anlernebene des Mehrstufenschemas erreichen, kann der Betroffene hierauf nicht verwiesen werden, sofern ihm jegliche Vorkenntnisse und Fertigkeiten für die Ausübung von Bürotätigkeiten fehlen.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.05.2009, L 4 R 1046/06


Anlagebedingten Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule: Kein Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV (Lendenwirbelsäulenerkrankung.)

Leider noch immer noch Standard einer nicht sehr Versichertenfreundlichen Begutachtungspraxis ist es, bei einer Erkrankung der gesamten Wirbelsäule negativ zu schließen, dass es sich dann um eine anlagebedingte Krankheit handelt. Das Erkrankungsbild einer bandscheibenbedingten Berufserkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 liegt daher nicht vor, so jedenfalls das LSG NRW. Ob diese Rechtssprechung Bestand hat, wird die Zukunft zeigen.

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.10.2009, L 2 KN 87/09 U


Hepatitis C-Infektion einer Krankenschwester / Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung?

Bemerkenswerte Urteile zu einer Berufskrankheit:

1. Anerkennung positiv
Die nach einer Nadelstichverletzung bei einer Krankenschwester festgestellte Infektion mit Hepatitis C ist als Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung auch dann anzuerkennen, wenn die Infektion nicht auf den Nadelstich selbst zurückgeführt werden kann. Besonders versichert sollen nach dem gesetzgeberischen Willen gerade solche Tätigkeiten sein, bei denen der Versicherte einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt war. Auch wenn die Durchseuchung der zu versorgenden Patienten mit Hepatitis C extrem niedrig und zudem auch eine Übertragung aus der konkreten Nadelstichverletzung ausgeschlossen ist, realisiert sich in einer solchen Infektion gerade das signifikant höhere Risiko von Gesundheitspersonal.

BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 30/07 R

2. Anerkennung negativ
Das BSG hat das die Klage des Versicherten abweisende Urteil des SG wieder hergestellt. Der Kläger hatte gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Feststellung, seine Hepatitis C Erkrankung sei Folge eines Arbeitsunfalles. Denn diese Erkrankung war, entgegen dem LSG, keine Unfallfolge. Zwar hatte der Kläger während der Verrichtung seiner Beschäftigung für eine Catering-Firma im Krankenhaus im Juni 1999 beim Abräumen eines Tabletts eine Stichverletzung durch einen Spritzenaufsatz erlitten. Jedoch hat das LSG nicht festgestellt, dass der Spritzenaufsatz mit HCV infiziert war oder dass der Kläger sich infolge der Stichverletzung anderweitig mit dem HCV angesteckt hat. Für diese anspruchsbegründenden Voraussetzungen trägt der Versicherte die objektive Beweislast. Entgegen dem LSG ist es beim Versicherungsfall des Arbeitsunfalls, über den hier aus verfahrensrechtlichen Gründen allein entschieden werden durfte, schon mangels einer Regelungslücke nicht erlaubt, in vermeintlicher "Analogie" zum Versicherungsfall einer BK 3101 nicht auf die tatsächlich erfolgte Infektion als Unfallereignis, sondern auf die bloße Infektionsgefahr abzustellen.
B 2 U 29/07 R

3.Anerkennung negativ
Das BSG hat die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG zurückgewiesen. Dieses hat das Urteil des SG zu Recht aufgehoben, weil die Klägerin keinen Versicherungsfall einer BK 3101 erlitten hat. Zwar leidet die Klägerin, eine Zahnarzthelferin, an einer Hepatitis C-Infektionskrankheit. Jedoch hat das LSG keine erhöhte Infektionsgefahr, sondern im Gegenteil festgestellt, dass die Klägerin durch die Verrichtung ihrer versicherten Teilzeitbeschäftigung in fünf Monaten des Jahres 2000 keinem durchseuchten Patientenkreis oder Objektbereich und keinem erhöhten Übertragungsrisiko ausgesetzt gewesen war. Eine BK 3101 lag nicht schon deshalb vor, weil die Versicherte im Gesundheitsdienst beschäftigt war und an einer Infektionskrankheit leidet.
B 2 U 7/08 R

4. Anerkennung offen
Das BSG hat über das Vorliegen einer BK 3101 nicht entscheiden können und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Es fehlten noch Tatsachenfeststellungen zu der Frage, ob der Kläger durch die Verrichtung seiner versicherten Beschäftigung als Entsorger bei der Stadtreinigung in den Stadtteilen St. Pauli und St. Georg einer Infektionsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt war. Zu klären ist, welche Tätigkeiten der Kläger als Entsorger zu welchen Zeiten verrichtet hat, ob die Verrichtungen ihn ihrer Art nach mit einem durchseuchten Objektbereich in Berührung gebracht haben und ob er Verrichtungen ausgeführt hat, die nach dem Übertragungsmodus der Hepatitis C-Infektion mit einer Übertragungsgefahr verbunden waren.
B 2 U 33/07 R


Auch der Weg zum Mittagessen der Freundin steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung

Unfallversicherungsschutz besteht grundsätzlich auch auf dem Weg zur Essensaufnahme, die der Erhaltung der Arbeitskraft dient. Es entspricht der Lebenswirklichkeit und verbreiteten Gepflogenheiten, das Mittagessen in selbst gewählter und angenehmer Gesellschaft einzunehmen. Einem Arbeitnehmer kann grundsätzlich nicht vorgeschrieben werden, wie er seine zur freien Verfügung stehende Arbeitspause einteilt. Eine zeitliche Obergrenze für den Weg zum Mittagessen, ab dem der Versicherungsschutz ausscheidet, existiert nicht. Entscheidend ist allein, ob möglicherweise ein anderer Grund für den Weg vorliegt, welcher den Zweck der Nahrungsaufnahme in den Hintergrund drängt.

LSG Rheinland-Pfalz vom 10.08.2009, L 2 U 105/09


Kontaktekzem als Berufskrankheit einer Krankenschwester anzuerkennen bei höchstwahrscheinlich beruflich bedingter klinischer Relevanz

Ein allergisches Kontaktekzem an Händen und Unterarmen einer Krankenschwester ist als Berufskrankheit anzuerkennen, sofern ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen als langjährige Krankenschwester sowohl im Sinne einer Entstehung als auch im Sinne einer richtungsgebenden Verschlimmerung mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Dies gilt insbesondere, wenn keine Anhaltpunkte dafür vorliegen, dass die Hauterkrankung schicksalhaft oder anlagebedingt oder aber aufgrund privater Veranlassung, beispielsweise durch Tragen von Modeschmuck, eintrat.


Ellenbogengelenkarthrose ist bei drei Stunden täglicher Arbeit mit Druckluftwerkzeugen als Berufskrankheit anzuerkennen

Ein rechtshändiger Kraftfahrzeugschlosser hat Anspruch auf Anerkennung einer Arthrose im rechten Ellenbogengelenk als Berufskrankheit, wenn er während seiner beruflichen Tätigkeit drei Stunden täglich mit Druckluftwerkzeugen wie Pressluftschraubern und Druckluftmeißeln gearbeitet hat, um Kfz-Räder oder die Räder von Traktoren zu montieren. Ein beruflich bedingter Zusammenhang kann nicht deshalb ausgeschlossen werden, wenn die arthrotischen Gelenkschäden auch noch nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeiten in Erscheinung treten.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.03.2009, L 10 U 1405/05

SG Karlsruhe, Urteil vom 28.04.2009, S 4 U 4810/07


Langjährige Tätigkeit als Entwicklungshelfer kann die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Berufskrankheit rechtfertigen

Es ist aufgrund der derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse hinreichend wahrscheinlich, dass Entwicklungshelfer in Krisengebieten der Gefahr, infolge ihrer versicherten Tätigkeit eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, in erheblich höherem Grade ausgesetzt sind als die Allgemeinbevölkerung in Deutschland. Es ist daher auch gerechtfertigt, diese Erkrankung als Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.05.2009, L 6 U 845/06


Bei Jobsuche unfallversichert

Wer sich auf Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit bei einem möglichen Arbeitgeber vorstellt, ist auf diesem Weg gesetzlich unfallversichert. Das gilt auch, wenn es zunächst nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrages kommt und der Arbeitsuchende nochmal hingeht, um Arbeitspapiere nachzureichen.

LSG Sachsen-Anhalt vom 21.02.2009, L 6 U 31/05


Unfall auf Supermarktparkplatz nach Frühstückseinkauf auf dem Weg zur Arbeit ist kein Arbeitsunfall

Es liegt kein Arbeitsunfall vor, wenn der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeitsstätte den Arbeitsweg verlässt und auf den Parkplatz eines Supermarktes zum Kauf eines Frühstücks auffährt und hierbei verunfallt. Hierdurch wurde der vom Versicherungsschutz abgedeckte Arbeitsweg aufgrund eigenwirtschaftlichen Interesses verlassen. Der Einkauf im Supermarkt kann keine der versicherten Tätigkeit zuzurechnende Vorbereitungshandlung darstellen, weil es sich bei einem Einkauf nicht um eine Vorbereitungshandlung für die weitere Zurücklegung des Arbeitsweges handeln kann.

SG Wiesbaden, Urteil vom 23.01.2009, S 1 U 99/08


Überleitung von Versicherungszeiten aufgrund Vereinbarung zwischen Versichertem und übernehmender Zusatzversorgungskasse möglich

Auch bei einem nicht bestehenden Überleitungsabkommen zweier Zusatzversorgungseinrichtungen kommt eine Übernahme von Pflichtversicherungszeiten aufgrund Vereinbarung zwischen dem Versicherten und der übernehmenden Zusatzversorgungskasse (hier: Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) in Betracht. Diese Versicherungszeiten können bei der übernehmenden Zusatzversorgungseinrichtung sowohl wartezeiterhöhend, als auch rentenerhöhend zu berücksichtigen sein. Selbst ein bereits geschlossenes Überleitungsabkommen ist eine Vereinbarung allein zwischen den beteiligten Zusatzversorgungskassen und entfaltet Rechtswirkung grundsätzlich nur in diesem Verhältnis. Hiervon ist der Schuldübernahmevertrag zwischen Versichertem und Zusatzversorgungskasse unabhängig.

LG Karlsruhe, Urteil vom 28.11.2008, 6 S 32/08


Koalitionsentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes im Bundestag den Ausschüssen zugewiesen

Deutsche, die im Ausland Opfer einer Gewalttat oder eines terroristischen Anschlages werden, soll zukünftig ein Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen.
Die Koalitionsfraktionen haben dazu einen Gesetzentwurf (16/12273) vorgelegt. CDU/CSU und SPD begründen ihre Initiative unter anderem damit, ausländische Reiseziele - ob aus beruflichen oder privaten Gründen - würden "ebenso häufig und selbstverständlich" angesteuert wie Ziele in Deutschland. Die derzeitige Rechtslage stelle eine "unbillige Härte" für die Betroffenen dar. Auch für ausländische Staatsbürger, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten, soll das OEG erweitert werden. Der Gesetzentwurf wurde am 19. März 2009 im Bundestag den Ausschüssen zugewiesen.

Bund, 19.03.2009


Kein Anspruch auf Opferentschädigung, wenn eine Frau in einer Beziehung bleibt, bei der sie schweren Misshandlungen ausgesetzt ist

Eine Frau, die in einer Beziehung verbleibt, die mit einer dauernden Gefahrenlage verbunden ist, in der sie stets mit schweren Misshandlungen rechnen muss und aus der sie sich selbst hätte befreien können, kann im Falle einer Körperverletzung keine staatliche Entschädigung beanspruchen. Ein solches Verhalten ist als leichtfertige Selbstgefährdung anzusehen, so dass eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz unbillig wäre. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Opfer zur Tatzeit bereits seit mehreren Monaten wiederholt tätlichen Angriffen durch den Täter ausgesetzt gewesen war und wiederholt damit bedroht wurde, sie würde umgebracht und an einem unbekannten Ort versteckt.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.02.2009, L 11 VG 38/08


Höheres Elterngeld nach Steuerklassenwechsel

Elterngeld wird grundsätzlich nach dem durchschnittlichen monatlichen Erwerbseinkommen des Berechtigten in den letzten zwölf Monaten vor dem Monat der Geburt des Kindes berechnet. Dabei sind u.a. die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern abzuziehen. Das Elterngeld beträgt 67 % des so ermittelten Einkommens.

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat am 25. Juni 2009 in zwei Fällen entschieden, dass der von den verheirateten Klägerinnen während ihrer jeweiligen Schwangerschaft veranlasste Wechsel der Lohnsteuerklasse bei der Bemessung des Elterngeldes zu berücksichtigen sei.

In dem einen Fall war die Steuerklasse von IV auf III, in dem anderen von V auf III geändert worden. Das führte zu geringeren monatlichen Steuerabzügen vom Arbeitsentgelt der Klägerinnen. Gleichzeitig stiegen allerdings die von ihren Ehegatten (jetzt nach Steuerklasse V) entrichteten Einkommensteuerbeträge so stark an, dass sich auch die monatlichen Steuerzahlungen der Eheleute insgesamt deutlich erhöhten. Dieser Effekt wurde bei der späteren Steuerfestsetzung wieder ausgeglichen.

Entgegen der Auffassung des beklagten Freistaates ist das Verhalten der Klägerinnen nicht als rechtsethisch verwerflich und damit als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Der Steuerklassenwechsel war nach dem Einkommensteuergesetz erlaubt. Seine Berücksichtigung ist durch Vorschriften des Bundeselterngeld- und Erziehungszeitengesetzes (BEEG) weder ausgeschlossen noch sonst wie beschränkt. Nach dem erkennbaren Schutzzweck des BEEG lässt sich ein Missbrauchsvorwurf nicht hinreichend begründen. Die Möglichkeit eines derartigen Steuerklassenwechsels ist im Gesetzgebungsverfahren erörtert worden, ohne dass dabei von Rechtsmissbrauch die Rede war. Trotz der inzwischen in mehreren Bundesländern anhängigen Rechtsstreitigkeiten, die erstinstanzlich teilweise zu Lasten der Verwaltung ausgegangen sind, ist auch im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Änderung des BEEG auf eine begrenzende Regelung verzichtet worden.

Hinweise zur Rechtslage: § 2 Bundeselterngeld und Elternzeitgesetz (BEEG)(1) Elterngeld wird in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt …(7) Als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit ist der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die auf Grund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die mit einem Zwölftel des Pauschbetrags nach § 9a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. …

Az.: B 10 EG 3/08 R R. ./. Freistaat Bayern
B 10 EG 4/08 R S. ./. Freistaat Bayern